1. Dezember: Wenn sich KEIN Türchen öffnet... Advent und Weihnachten hinter Gittern

 

Unser Adventstürchen für heute bietet Einblick in eine Welt, die den allermeisten von uns (zum Glück!) völlig unbekannt sein dürfte ...

 "Wie verläuft die Advents- und Weihnachtszeit eigentlich im Gefängnis?"  

Diese Frage haben wir Pfarrer Lothar Schulte von der Gefängnisseelsorge in der Justizvollzugsanstalt Attendorn gestellt. Dies hier hat er uns geantwortet:

"Als ich vor einigen Jahren als    Ehrenamtlicher Anfang Januar im Gefängnis einen Gottesdienst gehalten habe, fragte ich auch, wie man denn dort Weihnachten feiert. 

„Gar nicht“, war die lapidare Antwort der Inhaftierten. 

Dass das Fest für die Gefangene scheinbar ausfällt, kann man sich gut vorstellen. 

Weihnachten ist auch in den Köpfen der Menschen hinter Gittern die Zeit für die Familie. 

Das getrennt Sein von den Eltern, der Ehefrau und den eigenen Kindern wird gerade in den Weihnachtstage schmerzlich bewusst.  

Noch dazu, weil ja an den Feiertage viele andere Beschäftigungen wie Arbeit, Sport und andere Freizeitgruppe nicht stattfinden. 

Allein auf dem Haftraum bleibt der Fernseher als Fenster zur „Weihnachts“-Welt.

Aber natürlich geht Weihnachten auch nicht spurlos am Gefängnis vorüber. Es beginnt schon Mitte November mit der „Weihnachtsamnestie“. Wer zwischen dem 19. November und dem 6. Januar ohnehin seine Haftzeit beenden würde, hat die Chance schon am 18. November entlassen zu werden und die Weihnachtstage im Kreis der Lieben zu verbringen. 

Allerdings ist diese vorgezogene Entlassung zu Weihnachten an strenge Auflagen und Regeln gebunden und es kommt nicht jeder in den Genuss dieser Begnadigung.

In der Regel beginnt auch schon früh im November die Vorbereitung für die große Adventsausstellung am 1. Advent. Im ganzen alten Gutsgebäude der JVA Attendorn werden dann Holzspielzeuge, die Kinderaugen zum Glänzen bringen, Weihnachtsartikel und Kleinmöbel aus der Schreinerei, die die Inhaftierten produziert haben, ausgestellt und verkauft. 

In diesem Jahr ist dies aufgrund der Corona Infektionsschutzmaßnahmen leider nicht möglich. 

Dafür gibt es in der Attendorner Innenstadt ein Ladenlokal, wo die schönen handwerklichen und künstlerischen Arbeiten verkauft werden. Der Weihnachtsladen der JVA Attendorn öffnet vom 30. November bis 22. Dezember 2020 seine Türen. 

Die Erzeugnisse aus der anstaltseigenen Schreinerei können auch im Online-Shop "Knastladen" bestellt werden. 

Vielleicht findet der eine oder die andere hier ein passendes Geschenk... 


Natürlich gibt es auch Weihnachtsbäume im Gefängnis. 

Nicht nur in den Kapellen im offen und geschlossenen Vollzug der JVA Attendorn, sondern auch auf den Fluren zu den Hafträumen und in der
Verwaltung.


In der einen oder anderen Freizeitgruppe werden dann auch Plätzchen gebacken. Es finden sich immer wieder talentierte Bäcker unter den Inhaftierten.

Am Nachmittag des 24. Dezember dankt der Anstaltsleiter mit einem kleinen Geschenk allen Bediensteten, die an den Weihnachtstagen ihren Dienst tun. 

Denn nicht nur die Inhaftierten sind von ihren Familien getrennt. Es müssen ja auch immer Männer und Frauen da sein, die die Gefangenen betreuen. Sie kümmern sich nicht nur darum, dass das Lebensnotwendige für die Gefangenen da ist. Oft genug sind sie erste Ansprechpartner für Sorgen oder müssen als Prellbock herhalten, wenn sich über die ruhigen Weihnachtstage Aggressionen bei den Gefangenen aufbauen.

Besonders schön ist dann der Gottesdienst zum Heiligen Abend. Unter den Bediensteten der JVA finden sich einige begeisterte Bläser, die den Gottesdienst musikalisch ausgestalten. Bis auf den letzten Platz ist die Kapelle dann gefüllt. Es liegt eine besondere weihnachtliche Spannung in der Luft und die Traurigkeit, die Hoffnungen und die Sehnsucht sind an diesem Abend besonders spürbar.

Nach dem Gottesdienst klopfen wir Seelsorger noch an jede Haftraumtür des geschlossenen Vollzuges und verteilen die Weihnachtspakete der Siegerländer Gefangenenmission

Durch zahlreiche Spenden wird es möglich, jedem Inhaftierten ein kleines Geschenk zu machen. Ein Jahreskalender mit Bibelworten, ein bisschen Kaffee, ein paar Kekse und natürlich das unvermeidliche Päckchen Tabak gibt es als kleinen Weihnachtsgruß für jeden Inhaftierten unabhängig von ihrer Konfession oder Religion. 

Und dann kehrt auch auf den Fluren der JVA eine Weihnachtsruhe ein.

 

Pfarrer Lothar Schulte ist seit März 2019 als Gefängnisseelsorger in der JVA Attendorn tätig. Zuvor war er 11 Jahre lang als Gemeindepfarrer in der Ev. Kirchengemeinde Netphen tätig. 

Wichtiger Hinweis: Bei den Fotos oben, bis auf das Bild von der Spielzeug-Ritterburg, handelt es sich um Symbolfotos. Die Bilder geben nicht das Innere der JVA Attendorn wieder. Informationen zu dieser erst vor wenigen Jahren neu erbauten Haftanstalt finden sich hier:


Internetseite der JVA Attendorn

Wikipedia-Eintrag zur JVA Attendorn

 

 

Material zum Tiefergraben:

Internetseite der Ev. Konferenz für Straffälligenhilfe (aktiver Link, einfach anklicken)

Super-super-spannend ist auch der "Podknast", eine Seite mit vielen spannenden kleinen Videos und Podcasts, die Einblick bieten in die Welt hinter Gittern. Der Untertitel spricht für sich: "Wie es wirklich ist". Absolut empfehlenswert! Am besten einfach mal reinhören! 

Oben schon verlinkt ist die Seite der traditionsreichen Siegerländer Gefangenenmission - ein Arbeitsbereich des CVJM-Kreisverbandes Siegerland e.V. Hier gibt es mehr Infos und auch die Daten des Spendenkontos der Gefangenenmission

 

Zum Nachdenken:

ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer (1906 - 1945), der während seiner Zeit im Gefängnis auch das ganz normale Gefängniselend "gewöhnlicher" Krimineller erlebte. Dietrich Bonhoeffer schreibt am 20.11.1943, siebeneinhalb Monate nach seiner Verhaftung an seinen Freund Eberhard Bethge: 

"... Falls ich an Weihnachten noch hier im Loch sitzen sollte, laß dich dadurch nicht bekümmern. Ich habe eigentlich keine Angst davor. Weihnachten kann man als Christ auch im Gefängnis feiern - jedenfalls leichter als Familienfeste. ... Noch etwas über mein äußeres Leben: Wir stehen zur gleichen Zeit auf; der Tag dauert bis 20 Uhr; ... Täglich werde ich allein 1/2 Stunde spazierengeführt. Nachmittags wird im Revier mein Rheumatismus sehr freundlich, aber ohne Erfolg behandelt. Alle 8 Tage kriege ich von Euch die herrlichsten Sachen zum Essen.... Die Zelle wird mir gereinigt. Dabei kann ich dem Reiniger etwas zu Essen abgeben... Man sieht in 7 1/2 Monaten viel, besonders, was kleine Dummheiten für große Folgen haben können. Längere Freiheitsentziehung wirkt sich m.E. auf die meisten in jeder Hinsicht demoralisierend aus. Ich habe mir ein anderes Prinzip des Strafvollzugs ausgedacht. Prinzip: Jeden auf dem Gebiet zu strafen, auf dem er etwas ausgefressen hat.... Warum gibt es eigentlich im alttestamentlichen Gesetz keine Freiheitsstrafen?" 

zitiert aus Bonhoeffer, Dietrich: "Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichungen aus der Haft. Herausgegeben von Eberhard Bethge". Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 12. Auflage 1983

 

Was denkst Du, was denken Sie über das Prinzip der Freiheitsentziehung als Strafe? 

Über Rückmeldungen freuen wir uns, entweder hier in den Kommentaren oder bei Facebook - #staunenundlernen - durchaus aber auch per E-Mail:

heike.dreisbach@kirchenkreis-siegen.de

oder 

silke.vandoorn@kirchenkreis-siegen.de

 

Also dann, bis morgen, beim nächsten Türchen!

 



Kommentare


  1. Gute Frage - Entzug der Freiheit... warum eigentlich?
    Weil Strafe sein muss? Und weil die Alternative bis heute in etlichen Ländern den Tod bedeuten kann - bei bestimmten Kapitalverbrechen?
    Dieser Punkt wiegt gewiss sehr schwer. Wenn Strafe, dann eine, die noch Optionen für den Täter offenlässt... Dann hätte die Idee der Umkehr und (daraus folgend) des Neuanfangs eine Chance. Wie froh können wir sein, dass unser Rechtsstaat das schützt.
    Aber warum Entzug der Freiheit:
    Um die Gesellschaft zu schützen?
    Um Opfern von Gewaltverbrechen ein wenig Sicherheit zu verschaffen - oder ein wenig Genugtuung?
    Um dem Täter, der Täterin zu zeigen: *So* gibt es keine Zukunft für dich. Aber lerne, dich zu verändern und lebe später in Freiheit die Alternative (?).
    Um Menschen draußen abzuschrecken, die mit dem Gedanken spielen, massiv gegen das Recht zu handeln?

    Man/frau denke über die Alternative nach: Was geschähe in einer Gesellschaft, wenn Verbrechen keine spürbaren Folgen nach sich zögen?
    Ist die Menschheit so weit, dass Gemeinschaften ohne Sanktionen auskommen können - egal was eine/r tut.
    Offenbar hinken wir der großen Vision der Versöhnung aller mit allen hinterher.
    Angesichts der Rede von Vergebung der Sünde(n) und sogar der Versöhnung des Kosmos mit Gott (durch Gott) lehrt die Realität, dass diese Perspektive eine Frage der Hoffnung auf das Kommende ist (auf den Kommenden)...
    Das passt zum Advent. Dass die kommende Erlösung etwas mit hier und heute zu tun hat, schimmert nach meinem Eindruck durch das theologisch viel zu oft vernachlässigte Thema der "Rechtsstaatlichkeit". Sie ist von der jüdisch - christlichen Sehnsucht nach der Möglichkeit neuer Anfänge durchdrungen. Sollte das nicht so sein (oder so bleiben) dann Gnade uns Gott...

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