21. Dezember: Ich denke an Dich - Weihnachten und Trauer

Für Trauernde ist die Weihnachtszeit oft eine besonders schwere Zeit. 

Gerade, wenn die Feiertage zum ersten Mal ohne den geliebten Menschen durchlebt werden müssen. 

- Wie begegne ich in diesen Tagen einer Trauernden, einem Trauernden? 

- Und wenn ich selbst betroffen bin: Könnte es etwas geben, was es mir leichter macht? 

Wir haben mit Andrea Burrows aus Burbach gesprochen, deren Mann vor einigen Jahren sehr plötzlich verstorben ist.

 

Heike Dreisbach im Gespräch mit Andrea Burrows

Liebe Andrea,

Danke, dass Du bereit bist, mit uns über dieses sehr persönliches Thema "Weihnachten und Trauer" zu sprechen. 

Es ist nun beinahe 10 Jahre her, dass Du Witwe geworden bist. Praktisch von einer Sekunde auf die andere. Ohne dass etwas darauf hingedeutet hätte. Dein Mann ist während einer Dienstreise am sogenannten Sekundentod verstorben. 

Du weisst, wie sich das anfühlt: Zum ersten Mal Weihnachten verbringen ohne den geliebten Menschen. 

Gibt es etwas, was Du weiter geben könntest aus Deiner Erfahrung heraus?

Eine Hilfestellung vielleicht für diejenigen, die das gerade auf sich zukommen sehen: Das erste Weihnachten, an dem der Platz des geliebten Menschen leer bleiben wird.

Gibt es aus Deiner Sicht auch eine Art Hilfestellung für diejenigen, die jemanden in ihrer Nähe haben, der gerade trauert? Was könnte gut sein in der Begegnung und was gerade nicht? Die Unsicherheit ist ja oftmals groß in einer solchen Situation. 

Andrea Burrows: 

"Vielen Dank, die Gelegenheit zu diesem Gespräch nehme ich gerne an. Aber ich muss es gleich vorweg sagen:

Ich habe kein Patentrezept. Keine Technik, keine Strategie, die den Schmerz mildern könnte. Es tut einfach unfassbar weh.

Meine Erfahrung ist: Diesen Schmerz kann mir niemand nehmen. So gut es auch tut, Anteilnahme zu bekommen. 

Vielleicht könnte das hilfreich sein: Damit rechnen, dass der Schmerz da ist. Das es furchtbar weh tut. 

Es ist ja gerade der Schmerz, der mich mit dem geliebten Menschen verbindet. Der Schmerz ist ein Zeichen dafür, wie tief wir verbunden waren und immer noch sind. So wie Dietrich Bonhoeffer es einmal gesagt hat:

"Es gibt nichts, 
was uns die Abwesenheit eines uns lieben Menschen ersetzen kann 
und man soll das auch gar nicht versuchen; 
man muß es einfach aushalten und durchhalten; 
das klingt zunächst sehr hart, 
aber es ist doch zugleich ein großer Trost; 
denn indem die Lücke wirklich unausgefüllt bleibt, 
bleibt man durch sie miteinander verbunden" 

(Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, Seite 255 f).

Als das erste Weihnachtsfest ohne meinen Mann näher kam, hatte ich mir vorgenommen: Ich mache alles möglichst genau so, wie wir es zusammen gemacht haben. Es sollte einen großen Tannenbaum geben, geschmückt wie in jedem Jahr.

Mein Mann und ich, wir haben keine Kinder, allerdings vier Hunde, französische Bullies: Sophia, Emilio, Enzo und Enrico. Wunderbaren Tiere übrigens. Auch wenn es sich manche vielleicht nicht vorstellen können: Aber ein Tier kann sehr viel Trost geben.  
Ich plante also einen Heilig Abend unterm Weihnachtsbaum, allein mit mir und unseren Hunden.

 Ich machte mich deshalb irgendwann auf den Weg, um einen Baum zu kaufen. Der Weihnachtsbaumverkäufer erinnerte sich offenbar an mich. Als der Baum bezahlt und verpackt war, sagte er: "Schöne Weihnachten und grüßen Sie Ihren Mann von mir!"

Von jetzt auf gleich habe ich die Fassung verloren und bin in Tränen ausgebrochen. Was den Weihnachtsbaumverkäufer natürlich völlig verunsicherte. "O, habe ich etwas Verkehrtes gesagt?", fragte er "Haben Sie sich von ihrem Mann getrennt?" 

"Nein," konnte ich nur noch mühsam hervorbringen. "Mein Mann ist verstorben"

Zu mehr war ich nicht in der Lage. Ich habe mir den Baum geschnappt und zugesehen, dass ich so schnell wie möglich aus der Situation herauskam. Der Weihnachtsbaumverkäufer hat mir irgendwie schon leid getan. Er hatte es ja nur gut gemeint. Aber ich hatte keine Kraft, mich zusätzlich zu meinem eigenen Schmerz auch noch mit seiner Gefühlslage auseinander zu setzen. 

Und ich glaube: Das muss ich auch nicht als Trauernde. Ich darf so sein, wie ich gerade bin. Das habe ich auch erst einmal lernen müssen.

Aber gerade das hat mir geholfen, das für mich anzunehmen: 

Dass ich mich nicht verstellen muss.

Und dass ich nicht auch noch zuständig bin dafür, dass die, die durch meine Trauer verstört werden, sich wieder besser fühlen.

Das ist auch etwas, das ich heute, wenn ich andere in ihrer Trauer begleite, immer wieder betone.

Du darfst so sein, wie Du gerade bist. 

Probiere aus, was Dir gut tut und was nicht. 

Jede/r trauert anders. Trauer wandelt sich. Was Dir an einem Tag hilft, kann sich am nächsten Tage völlig verkehrt anfühlen.

Die Idee zum Beispiel, die ich hatte vor dem ersten Weihnachten ohne meinen Mann, dass alles möglichst so sein soll wie immer: Diese Idee hat mir zwar geholfen, auf das Fest zuzugehen. 

Aber dann am Heiligen Abend, als ich allein im Wohnzimmer saß unter meinem großen Weihnachtsbaum, da war ich einfach nur entstetzlich traurig und es ging gar nichts mehr. 

Ich hatte mich irgendwie selbst überfordert mit meinem Anspruch an mich selbst. Das würde ich so nicht noch einmal machen. 

Aber es kann natürlich auch sein, dass genau das das Richtige ist für eine andere trauernde Person: An gemeinsamen Ritualen festhalten, so gut es geht.

Letztlich muss das jeder und jede in der Situation selbst ausprobieren.

 

Was ich aber auch erlebt habe auf meinem Trauerweg, auch im Blick auf Weihnachten:

Das Leben sorgt für uns. 

Gott sorgt für uns. 

 

Er hat für mich gesorgt. 

Gott ist der einzige, auf den ich mich wirklich verlassen kann. 

Der einzige, der mich wirklich versteht. 

Und zwar immer.

Und manchmal, da schickt er auch Menschen, durch die er mir seine Nähe zeigt. Das sind besonders tröstliche Momente, wo es einfach passt. 

Aber das kann niemand machen, so eine Begegnung ist letztlich ein Geschenk.

Auch wenn es natürlich Dinge gibt, die man beachten kann. Aber darauf komme ich noch ausführlicher  zu sprechen.


Was ich auch noch gerne sagen möchte, weil ich das für mich so erlebt habe:


Es geht weiter. 

Immer weiter. 

 

Auch mit der Trauer. Sie wird nie abgeschlossen sein. 

Und ich merke, je länger ich mit der Trauer lebe:

 

Es ist gut, dass es so ist.

 

Es gibt Leute, die sagen: "Du musst loslassen!". Aber das stimmt nicht. 

Mein Mann wird immer ein wichtiger Teil meines Lebens bleiben. Und darüber bin ich auch froh. Die Beziehung zu ihm ist nicht abgebrochen. Sie ist anders als früher, sehr viel anders. 

Aber das Band, das uns verbindet, ist nicht zerrissen. 

 

Was sich außerdem bei mir eingestellt hat, im Laufe der Zeit, bei mir sind es nun schon beinahe 10 Jahre: 

Das Laute wird leiser.

Die Verbindung zu meinem Mann gewinnt an Weite.

Das erlebe ich auch als etwas sehr Kostbares.


Nun zu der Frage: "Wie kann ich einer Trauernden, einem Trauernden hilfreich begegnen, generell, aber eben auch gerade in diesen (vor)weihnachtlichen Tagen?"

Mein Hinweis Nummer eins ist: "Backt bitte kleine Brötchen!" 

Es ist ja lieb gemeint, aber letztlich ist das in den allermeisten Fällen eine hohle Phrase, wenn gesagt wird: "Ich bin immer für Dich da."

Das geht gar nicht. Niemand kann das: Immer für einen anderen da sein. 

Was geht und was hilft: 

Wenn jemand da ist, der einfach nur zuhört. 

Da sein. 

Das ist gut. 

Zeit verbringen können mit jemandem, der sich geduldig angehört, wenn ich zum fünfzigsten Mal erzähle, wie sich das anfühlt, auf einmal so alleine zu sein. 

Ja, das hilft: Die Geschichte immer wieder erzählen können. Mit allen Details. Wie das war, als die Todesnachricht eintraf. Und was dann geschah, alle möglichen anderen Einzelheiten.

Erzählen können was war, es immer wieder und wieder erzählen und jemand hört zu: Das hilft, um das Unfassbare zu integrieren, es zum Teil meiner unverwechselbaren Lebensgeschichte zu machen.

Aber das ist schwerer als es sich anhört: Einfach "nur" Zuhören. Nicht groß von sich selbst erzählen. Keine Tipps geben. Das ist gar nicht so leicht. Das erlebe ich ja jetzt selbst auch aus der anderen Perspektive, wo ich in der Trauerbegleitung tätig bin. 

Aushalten, dass ich den anderen nicht trösten kann. Und trotzdem da sein. 

Aushalten, dass es kein Pflaster gibt, mit dem man die Wunde der Trauer versorgen könnte. 

Was sollte das auch für ein Pflaster sein?

"Die Zeit heilt alle Wunden".

Solche Sprüche haben mich geradezu aggressiv gestimmt. Das ist doch Unsinn!

 

Was mir geholfen hat:

Wenn jemand gesagt hat: "Ich denke an Dich". Oder auch: "Ich bete für Dich". 

Das nehme ich jemandem ab. Das ist realistisch. 

 

Wohltuend ist solch ein Satz auch, wenn er zum Beispiel auf einer Karte steht. Nicht nur in den Tagen vor oder nach der Beerdigung. Solche kleinen Zeichen der Anteilnahme tun auch später gut. Zum Beispiel wenn der Verstorbene Geburtstag hat oder eben auch zu Weihnachten.

Solche kleinen Zeichen haben mir weiter geholfen. 

Nicht unbedingt sofort. Aber auf die Dauer der Zeit. Viele kleine Zeichen haben mich auf meinem Weg begleitet.

Es hat mir immer wieder Kraft gegeben, wenn ich mir vorgestellt habe, wie viele Leute an mich denken und vielleicht auch für mich beten.


Was auch gut ist: Wenn jemand fragt: "Was kann ich für Dich tun?"

Wozu ich auch ermutigen möchte jetzt vor Weihnachten, das sind kleine Zeichen.

Eine Besorgung vielleicht. Eine kleine handwerkliche Sache, etwas vom Einkaufen mitbringen.

Eine kleine Tüte mit selbstgebackenen Plätzchen, einfach vor die Haustüre gestellt oder ein kleiner Blumengruß. Es muss ja nichts Großes sein. 

Im Gegenteil. 

Oft sind es die Kleinigkeiten, die weiter helfen. Die das Herz berühren.

Und, auch das ist wichtig: Das Schweigen überwinden. Das ist nämlich ganz schlimm: Wenn die Leute weggucken oder sogar die Straßenseite wechseln, weil sie Angst haben, einem zu begegnen.

Irgendwie ist das verständlich. Ein Ausdruck von Überforderung oder großer Angst davor, dass der Tod bei einem selbst einmal anklopfen wird. Aber wenn Du das erlebst, wie die Leute Dir aus dem Weg gehen, das kann doppelt einsam machen. 

Vielleicht lässt sich das Hilfreiche zusammenfassen mit dem schlichten Satz:

 

Weniger ist mehr.

Aber gar nichts ist gar nichts.

 

Ich glaube, gerade jetzt, wo auch noch Corona dazu gekommen ist, ist es gut, wenn jede/r überlegt, wo er oder sie ein kleines Zeichen der Verbundenheit setzen könnte.

Dass wir alle einmal sterben müssen und dass der Tod zu unserem Leben immer dazu gehört, früher oder später, das verbindet uns Menschen. 

Wir können einander viel geben. 

Auch wenn es oft eher unscheinbare, kleine Dinge sind, die einen Unterschied machen.

Ich wünsche allen, die diesen Adventskalender lesen, von Herzen gesegnete Weihnachten!"

  


Liebe Andrea, hab vielen Dank!

Mir macht das, was Du sagst jedenfalls Mut, nicht wegzuschauen, sondern das wenige, das möglich ist, auch wirklich zu tun.

Hab ein gesegnetes Weihnachtsfest - alles Gute und viel Kraft auch für Deinen Dienst!

Was Du da genau tust als GemeindeSchwester und inzwischen auch Diakonisse des Mutterhauses der Diakonie RuhrWitten, das ist filmisch dokumentiert. Wir zeigen den Film gleich unten in der Rubrik "ZUM TIEFERGRABEN". 




ZUM TIEFERGRABEN:

Dieses Video über Andreas Burrows Arbeit als GemeindeSchwester in der Trauerbegleitung in ihrer Kirchengemeinde in Burbach ist im Sommer 2019 entstanden - also noch vor Corona. Hier erzählt Andrea auch von ihrem eigenen Trauerweg. Ein berührender Film des Siegener Filmemachers Roman Knerr.



Hier geht es zum Homepage der Ev. Ref. Kirchengemeinde Burbach.

Und hier zu der des Diakonischen Werkes im Ev. Kirchenkreis Siegen, in dessen Vorstand Andrea Burrows mitarbeitet.

 

Vielleicht rührt das, was Ihr gelesen habt, etwas an bei Euch, mit dem Ihr nicht gern allein bleiben möchtet. 

Fasst Euch ein Herz, sprecht uns einfach an, bzw. schreibt uns eine E-Mail.

heike.dreisbach@kirchenkreis-siegen.de

silke.vandoorn@kirchenkreis-siegen.de

Unsere übrigen Kontaktdaten befinden sich auf unseren Seiten auf der Homepage des Ev. Kirchenkreises Siegen: Schulreferat und Erwachsenenbildung (bitte das Gewünschte anklicken, aktiver Link).  

Wir antworten so rasch es uns möglich ist. 

Immer ansprechbar, 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche, ist die Telefonseelsorge - siehe Türchen vom 9. Dezember

Kostenlos erreichbar unter: 0800 - 111 - 0 111 oder www.telefonseelsorge.de

 

Habt einen guten und gesegneten Tag - 

und vergesst nicht: 

Heute ist Wintersonnenwende

ab heute bleibt es  jeden Tag ein wenig heller...

 

Bis morgen, beim nächsten Türchen!

 

 

 


 

 

 


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