28. November 2020: Der Adventskranz - eine runde Sache

Hinter unserem ersten Adventstürchen erwartet Euch eine Last-Minute-Anleitung für einen schlichten und doch schönen Adventskranz.

Außerdem erfahrt Ihr, wer den Adventskranz erfunden hat. Lasst Euch inspirieren!

Für die allermeisten gehört er unbedingt zu  einer stimmungsvollen vorweihnachtlichen Dekoration: Der Adventskranz. 

Die einen entscheiden sich - ganz klassisch - für einen dicht gebundenen Kranz aus Tannengrün, besteckt mit vier dicken roten Kerzen. 

Andere hingegen lieben die Abwechslung und experimentieren mit allen möglichen Materialien und Farbgebungen.

Je nach Geschmack, Einrichtungsstil und Geldbeutel. Wer sich umschaut, entdeckt die ungewöhnlichsten Exponate.

 

Selbst einen Adventskranz zu binden oder einen entsprechenden Rohling zu dekorieren ist gar nicht schwer. Bei YouTube z.B. findet man eine Fülle von Anleitungen dazu. 

Für alle, die noch auf der Suche sind nach einer unkompliziert und rasch zu realisierenden Last-Minute-Option, haben wir einen Tipp vom Videokanal einer der vielen "Land-Zeitschriften". Benötigt wird nichts weiter als ein Teller oder eine flache Schale, vier Kerzen (idealerweise in ungleicher Höhe, aber gleich hoch müsste auch funktionieren), Moos und einige kleine Deko-Elemente wie Sternanis, Zimtstangen und kleine Weihnachtskugeln.

ZUM MITMACHEN: Schreibt uns in die Kommentare, ob Ihr einen Adventskranz habt und wenn ja, wie er aussieht. Oder Ihr postet ein Foto von Eurem Adventskranz unter dem Hashtag #staunenundlernen bei Facebook oder Instragram (Hashtag: damit ist gemeint, dass man das Rautezeichen # vor einen Begriff setzt. Im Internet lassen sich dann alle Einträge mit dieser Zeichen-Begriffs-Kombination leicht auffinden - im Sinne eines Schlagwortes).

Wer aber hat ihn erfunden, den Adventskranz?

Um es kurz zu machen: Johann Hinrich Wichern war das. Der Theologe lebte von 1808 - 1881 in Hamburg. Er hat nicht nur den Adventskranz erfunden, sondern gilt auch als der Begründer der Diakonie in Deutschland. 2008 wurde auch bei uns im Kirchenkreis des 200. Geburtstags von Johann Hinrich Wichern gedacht.

Wir haben seinerzeit bei "IBAL", der damaligen Integrationswerkstatt der Diakonischen Wohnungslosenhilfe den Original-Adventskranz rekonstruieren lassen. 

Das Ergebnis wurde professionell fotografiert und auf Weihnachtskarten gedruckt.

Außerdem gab es eine kleine Ausstellung über Wicherns Leben und Werk, die wir Euch gerne noch einmal zeigen möchten. Die Plakate entworfen hat Anke Manderbach, Lehrerin für Kunst und Wirtschaft an einer berufsbildenden Schule in Leipzig, gebürtig aus unserer Region.

 .

Als ältestes von sieben Kindern wird Johann Hinrich Wichern am 21. April 1808 in Hamburg geboren. Unter der französischen Besatzung lernt er schon als Kind Flucht und Elend kennen. Durch die Unterstützung einflussreicher Persönlichkeiten aus der Hamburger Erweckungsbewegung kann er ein Studium der Theologie in Göttingen und Berlin absolvieren.

 
1832 wird Wichern Oberlehrer an der Sonntagsschule für arme Kinder in der Hamburger Vorstadt St. Georg (die Sonntagsschule wurde im 19. Jahrhundert ursprünglich erfunden, um von Kinderarbeit betroffenen Kindern zumindest ein Minimum an Bildung zu ermöglichen). Der frisch examinierte Theologe Johann Hinrich Wichern ist tief entsetzt: 
 
„Ich bitte, mir im Geiste in diese Wohnungen zu folgen. In der Tür gerade an wohnt eine Frau, die als Kind mit Mutter und Geschwistern bei Nacht von dem trunkfälligen Vater auf die Straße getrieben zu werden pflegte. Als die Eltern gestorben waren, verehelichte sie sich und wurde Mutter von einem Sohne, der jetzt, etwa 17 Jahre alt, tagaus, tagein Lumpen und Knochen sammelt. Nach dem Tode des ersten Mannes trat die Frau in eine wilde Ehe mit einem andern Manne. Der Mann ist gestorben und hat das Weib als Mutter von zwei Kindern zurückgelassen; das eine von diesen ist ein niedlicher Knabe von sechs bis sieben Jahren, der hilflos in diesem Jammer herumschleicht, das andere ein zwölfjähriges Mädchen. Seit vielen Jahren stockblind. Geistige Nahrung irgendwelcher Art ist ihr bis vor kurzem nie geboten. Diesem Saale gegenüber wohnt in einer anderen Tür ein wilder Mensch, ein Wall- oder Chauseearbeiter, ein entsetzlicher Trunkenbold; eine Kinderbettstelle, ein wenig zerbrochenes anders Mobiliar und ekelhafter Schmutz füllen diese Behausung. Bis zum letzten Frühjahr hatte dieser Mensch einen Neffen bei sich, der seinen Vater und seine Mutter nie gesehen hat; derselbe ist 18 Jahre alt, sammelte bis zum vorigen Winter am Tage Lumpen, aus denen er des Nachts seine Kopfkissen bereitete; Wäsche hatte er im letzten Winter nicht auf seinem Leibe. Seit dem Frühjahr dient er bei einem Hufschmied, ist noch nicht konfirmiert, kann weder lesen noch beten, hat es auch nicht lernen wollen, so fleißig er dazu ist angetrieben worden." (zitiert nach: Ev. Hochschule Tabor: "Die Innere Mission" https://www.eh-tabor.de/de/die-entstehung-der-inneren-mission)
 
Mag alles richtig und gut sein, was Sonntag für Sonntag in den Kirchen Hamburgs gepredigt wird: An diesen Orten der Armut sind Kirche und Glaube jedoch nicht anzutreffen (nach Birnstein, 2007, S. 52). 
 

 
Für Wichern steht fest: Diesen Kindern muss geholfen werden, indem man sie aus dem städtischen Elend herausführt. Sei Aufruf ein "Rettungsdorf" zu gründen findet breite Resonanz. Der 25jährige Wichern gründet eine Stiftung und sammelt Geld. Von seinem väterlichen Freund Senator Sieveking erhält er nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch ein Grundstück oder ein Haus. Im November 1838 beginnt bereits die Arbeit. Und die ist pädagogisch revolutionär für das 19. Jahrhundert.

 
Das "Rauhe Haus" stellt sich als ein Rettungsdorf dar, in dem die Kindern in Familiengruppen leben. Mit ihnen lebt ein Betreuer, der ähnlich wie ein "großer Bruder" sein soll. Die ersten "Brüder" kommen 1834. Wichern bildet sie zu "Armenerziehern" aus. Wenn ein Kind neu aufgenommen wird, wird ihm dieser Satz zugesprochen: “Mein Kind, dir ist alles vergeben. Sieh um dich her, in was für ein Haus du aufgenommen bist. Hier ist keine Mauer, kein Graben, kein Riegel, nur mit einer schweren Kette binden wir dich hier, du magst wollen oder nicht, du magst sie zerreißen, wenn du kannst, diese heißt Liebe und ihr Maß ist Geduld. Das bieten wir dir, und was wir fordern, ist zugleich das, wozu wir dir verhelfen wollen, nämlich, dass du deinen Sinn änderst und fortan dankbare Liebe übest gegen Gott und den Menschen!“ (Wichern, Sämtliche Werke, Band 4/ 1, 119)
 
1835 heiratet Wichern Amanda Böhme, die während seiner langen Abwesenheiten Leitungsaufgaben übernimmt. Am ersten Advent 1839 hängt im Betsaal des Rauhen Hauses der erste Adventskranz der Welt, erfunden von Johann Hinrich Wichern! Die Idee hat Wichern, als die Kindern ihm die typische Frage stellen: "Wie lange dauert es noch bis Weihnachten?". Auf einem großen Wagenrad befestigt Wichern Kerzen, für jeden Tag in der Adventszeit eine. Für die Sonntage eine dicke weiße Kerze, für die Wochentage eine kleine rote. Das Anzünden der Kerze während der Abendandacht wird begleitet vom Verlesen einer Verheißung aus dem Alten Testament, die auf die Ankunft des Messias hinweist.

Mit seinen seit 1844 in der Agentur des Rauhen Hauses erscheinden "Fliegenden Blättern" verbreitet Wichern seine pädagogischen und volksmissionarischen Ideen im gesamten deutschsprachigen Raum. Im September 1848 ruft Wichern auf dem Kirchentag in Wittenberg in einer spontanen, leidenschaftlichen Rede die Kirche auf, sich zur "Inneren Mission" zu bekennen. "Mit dem Projekt der Inneren Mission und seinem überzeugenden Credo "Die Liebe gehört mir, wie der Glaube", weckt er die evangelische Kirche aus dem Schlaf der Gerechten" (Birnstein, 2007). 
 

In den Kriegen 1864, 1866 und 1870/71 sammelt Wichern eine große Zahl von Freiwilligen zur medizischen und geistlichen Begleitung von Soldaten. 
 
Auch wenn Wicherns Arbeit in der jüngeren sozialpädagogischen und diakoniewissenschaftlichen Diskussion durchaus auch kritisch betrachtet wird (patriarchalisches Gesellschaftsbild und die autoritären Züge in seiner Pädagogik) - Wicherns Engagement hat Kreise gezogen: Aus der von ihm gegründeten "Inneren Mission" ging schließlich die heutige Diakonie hervor. Weil der Glaube an Jesus Christus und die praktische Nächstenliebe unbedingt zusammen gehören  leisten die vielen diakonischen Einrichtungen, auch in unserem Kirchenkreis vielfältige Dienste. Infos dazu gibt es z.B. hier: https://www.diakonisches-werk-siegen.de/
 

Das "Rauhe Haus" in Hamburg besteht nach wie vor und ist heute ein großer Träger diakonischer Arbeit. Hier geht es zur Homepage des Rauhen Hauses.

 

TIPP ZUM TIEFER GRABEN:

Viele wertvolle Informationen über Johann Hinrich Wichern und das Rauhe Haus bietet diese Seite des NDR. Faszinierend auch der folgende, dort verlinkte Fernseh-Beitrag aus den 50iger Jahren über die Arbeit des Rauhen Hauses. Wirklich sehenswert!

Bis morgen beim nächsten "Türchen"!






Kommentare

  1. So schön und klug recherchiert und geschrieben. Danke für die Mühe. Die "Portion" an Hinweisen geht weit über ein Kalenderblatt hinaus und bleibt genau deshalb nicht im Klischee stecken.
    Gleichzeitig gibt es keine Überforderung. Ich kann selbst entscheiden, wie tief ich einsteigen mag. Die Verbindung aus "Kreatividee" und "Unterweisung" ist äußerst gut gelungen.
    Ich hätte heute beim Aufstehen nicht damit gerechnet, Wichern zu begegnen... Danke!!

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen