8. Dezember: Eseleien im Advent

Was erwartet euch heute?

Die Liebe zu Eseln:

Die biblische Sicht und die Liebhaber*innen-Sicht. 

Eine eher schwierige Entdeckung. 

Und die Geschichte von einem besonderen Pfarrer, der gern von Eseln erzählt hat.


von Silke van Doorn

Esel sind stur, eigensinnig und verstehen nichts – das ist ihr Ruf. 
 
Ich liebe Esel. 
 
Vor einigen Jahren ging ein sehnlicher Wunsch für mich in Erfüllung: 
 
Ein Open-Air-Gottesdienst über Esel, mit Eseln, vielleicht aber auch für Esel. 
 
Birgit Saßmannshausen, die große Eselliebhaberin aus der Eseley in Bad Berleburg, hat am Tag des Gottesdienstes im Waldland Hohenroth einen Eselworkshop mit Wanderung angeboten. 
 
Da habe ich sie gefragt, ob sie – gemeinsam mit ihren Eseln – den Gottesdienstteilnehmer*innen  etwas über die Eigenart der Esel*innen erzählt. 
 
"Esel", so sagte Birgit Sassmannshausen, und wurde von ihren beiden Begleiter*innen durch heftiges Kopfnicken  bestätigt, "Esel sind nicht stur. Sie sind klug". 
 
Sie nannte ein Beispiel: 
 
Esel weigern sich weiterzugehen, wenn sie Gefahr wittern.
Wenn sie uneinsehbare Stellen überqueren sollen, deren Tiefe und Weite sie nicht einschätzen können. 
 
So bewahren sie sich und ihre menschlichen Begleiter*innen vor Schaden. 
 
In der Bibel tauchen Esel an einigen Stellen auf. 
 
Die sprichwörtliche Sturheit der Esel, die eigentlich der Bewahrung des Eselhalters dient, die finden wir in einer wohl eher unbekannten Geschichte von Bileams Eselin aus dem 4. Buch Mose.
 
Die Geschichte von Bileams Eselin handelt zum einen von der Lieblosigkeit und Dummheit des Eselbesitzers Biliam. Und zum anderen von der Empfindsamkeit und Klugheit seiner Eselin und des Segens, den die Eselin bewirkt.
 
Ihr möchtet die Geschichte kennen lernen? 
 
In der Bibel ist sie in 4. Buch Mose 22 - 24 nachzulesen.
 
Eine kurzweilige Zusammenfassung bietet dieses kleine Video auf dem Kanal für den digitalen Kindergottesdienst in Coronazeiten von der Ev. Kirchengemeinde Waldniel aus der Ev. Kirche im Rheinland:
 

 
Esel in der Weihnachtsgeschichte

Auch wenn es kaum zu glauben ist: In der Weihnachtsgeschichte kommt der Esel nicht vor! Der Ochse übrigens auch nicht. 

Die einzigen Tieren, die in der Weihnachtsgeschichte vorkommen, sind Schafe. 

 
Warum kommt trotzdem kaum eine Krippenszene ohne Ochs und Esel aus? 
 

Leider ist der Grund, warum Ochse und Esel in unseren Krippen stehen, ziemlich problematisch. 

Alles hat mit einem Zitat aus dem Buch des Propheten Jesaja angefangen. Dort steht (Jesaja 1,3): 

"Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippes eines Herrn; aber Israel kennt´s nicht, und mein Volk versteht´s nicht".

Die Kirchenväter (prominent unter ihnen mit dieser Deutung sind Gregor von Nyssa) und Origines legten dieses Prophetenwort allegorisch aus: 

Der Ochse steht für sie sinnbildlich für Gottes Volk, für Israel und der Esel  für die „Heiden“. 

Ochs und Esel betrachten sie dabei als dumme, unverständige Tiere. 

Die aber trotzdem immer noch klüger seien als Israel, als die Juden also und überhaupt alle, die keine Christen sind.  

Solche, die Prophetenworte völlig aus dem Zusammenhang reißenden Auslegungen haben - leider - einen christlichen Antijudaismus Tür und Tor geöffnet. 

Eine Entwicklung mit entsetzlichen Folgen! Denn ohne diesen, im Laufe der Jahrhunderte immer selbstverständlicher werdenden christlichen Antijudaismus wäre wohl auch der Antisemitismus der Nazis und die Vernichtung von 6 Millionen Juden im sogenannten "Dritten Reich" nicht denkbar gewesen. 


Sollten wir nun Ochs und Esel deshalb aus unseren Krippen entfernen?

Vielleicht mag der eine oder die andere diese Konsequenz tatsächlich ziehen. 

Eine andere Möglichkeit ist diese: 

Ochse und Esel dürfen bleiben. Aber ich nehme sie als Ansporn wahr. Sie helfen mir, jeglicher Form von Judenfeindlichkeit, Rassismus und Ausgrenzung in meiner Umgebung entschieden entgegen zu treten. 


Die Sache mit den Eseln ruft mir außerdem die Geschichte eines Mannes in Erinnerung, die viel zu wenig bekannt ist.

Es ist die Geschichte des südfranzösichen Pfarrers und Esel-Liebhabers André Trocmé  (1901-1971) aus Chambon-sur-Lignon, einem kleinen Ort in den südfranzösischen Cevennen.
Während der Besetzung Frankreichs durch Hitler Truppen und der Regierung des Vichy-Regimes rettete André Trocmé gemeinsam mit seiner Ehefrau Magda die Leben vieler Juden und Jüdinnen, sowie anderer von den Nazis Verfolgter. 
Wie dies gelang, beschreibt dieser kurze Artikel der evangelischen Zeitschrift "Chrismon".


Wichtig ist: Trocmé war auf Mitstreiter*innen angewiesen. Diese gewann er u.a. in dem er biblische Geschichten erzählte. Und zwar in außergewöhnlicher Form.

Einige davon sind nachzulesen in seinem Buch, das vor einiger Zeit wieder neu aufgelegt worden ist (und das sich wunderbar als Weihnachtsgeschenk eigenet oder zum Selberlesen). 

In „Von Engeln und Eseln. Geschichten nicht nur zu Weihnachten“, Schwarzenfeld,  2010 beschreibt der französiche Pfarrer "die kleinen Esel aus dem Neuen Testament" als Wesen, die  "Engeln näher sind als Menschen"

Für Trocmé sind Esel "stark,  mächtig und intelligent“. Auf subtile Weise spielt er in seinen Geschichten mit der scheinbaren Dummheit und Sturheit der Esel. 

So skizziert er beispielsweise einen samaritanischen Bewohner Bethlehems, der eine Eselin besitzt, die als besonders störrisch und bockig beschrieben wird. 
 
Es zeigt sich jedoch, dass die Rebellion der Eselin sich am Ende immer als segensreich erweist. Mehr noch: 

Es scheint so zu sein, als sei der Eselin selbst von Anfang an bewusst, dass sie in Wahrheit eine Botin Gottes, ein Engel, ist. Trocmé erzählt vier Geschichten über diese Eselin. 

Einmal etwa klopfen ein Mann und seine hochschwangere Frau spätabends in Bethlehem bei unserem Eselbesitzer an (Lukas 2, 7). Das Paar benötigt dringend ein Obdach. Dies will der Eselbesitzer gern gewähren, allerdings, so denkt er, muss dafür als erstes die Eselin ihren Stall räumen. Diese widersetzt sich jedoch mit aller Macht, so dass er ihr nachgeben muss. Was sich im Nachhinein als Segen erweist, denn ohne die Wärme des Tieres wäre das Baby, dass in jener Nacht geboren wird, vermutlich erfroren.


Als die junge Familie Bethlehm kurz darauf fluchtartig verlassen muss, und der samaritanischen Stallbesitzer gebeten wird, die Eselin leihweise als Lasttier zur Verfügung zu stellen, lehnt dieser ab. 

Die Eselin knabbert daraufhin jedoch den Strick durch, mit dem sie angebunden worden ist. Sie läuft der jungen Familie nach, um sie ins rettende Ausland zu begleiten. 

Am Ende dieser Geschichte muss der Besitzer der Eselin erkennen, dass er gut daran tut, sich im Zweifelsfall für die Barmherzigkeit zu entscheiden und sein Misstrauen Fremden gegenüber zu überwinden. Er erlebt nämlich, wie die junge Familie die Eselin eines Tages unversehrt wieder in Bethlehm abliefert (vergleiche: Matth. 2, 14). 



Jahre später reist unser Samariter aus Bethlehem auf seiner Eselin spätabends auf dem gefährlichen Weg zwischen Jericho und Jerusalem. 
 
Er fürchtet sich und treibt das Tier zur Eile an. Wieder einmal erweist sich die Eselin als besonders widerborstig. 
 
Stur bleibt sie stehen und bewegt sich nicht vom Fleck. 
 
So, dass das Wimmern eines Verletzten hörbar wird, der ausgeraubt und übel zugerichtet im Straßengraben liegt. 
 
Der Samariter greift helfend ein. 
 
Wäre die Eselin gehorsam gewesen, hätte er den Verletzten nicht wahrgenommen, was wohl dessen Tod bedeutet hätte (Lukas 10, 25 - 25). 
 
 
 

In der vierten Geschichte Trocmés wird die Eselin schließlich von Fremden ausgeborgt, samt ihrem kleine Füllen, auf dem noch nie zuvor jemand geritten ist. 

Diesmal begehrt ihr Besitzer nicht auf, sondern überlässt die Entscheidung seiner Eselin. Sie kommt mit und ihr Füllen auch.

So wird die alte Eselin schließlich Zeugin des umjubelten Einzugs des Mannes, den sie einst als Baby gewärmt und ins rettende Asyl getragen hat (Matth. 21, 1 - 11). Trocmé beschreibt, dass die Eselin spürt: Ihre Sehnsucht, die sie ihr Leben lang in sich trägt, hat sich erfüllt. 

Die Art und Weise, wie  Trocmé die Erfüllung der Eselin beschreibt, erinnert mich an Lukas 2, 25 - 35 , an den hochbetagten Simeon im Tempel, der den kleinen Jesus in seinen Armen hält und tiefbewegt betet:

"Meine Augen haben dein Heil gesehen, 
das du bereitet hast im Angesicht aller Völker: 
ein Licht zur Offenbarung für die Nationen 
und zur Herrlichkeit deines Volkes Israel".

Eseleien, die Leben retten
 

Damals, in den finstersten Tagen des 20. Jahrhunderts haben diese phantasievollen und zugleich biblisch verankerten Eselgeschichten einer beachtlichen Zahl von Menschen aus der Gemeinde von Pfarrer Trocmé und aus den umliegenden Dörfern geholfen, sich trotz alle Gefahr für die tätige Liebe und gegen die Unmenschlichkeit zu entscheiden. Man schätzt, dass in dieses Widerstandgeschehen insgesamt ca. 9.000 Menschen aktiv eingebunden waren. 

 

Die Leben von ungefähr 5.000 Menschen konnte auf diese Weise gerettet werden. 3.500 von ihnen waren Jüdinnen und Juden.

 

Das Ehepaar Trocmé  aus Chambon-sur-Lignon und 32 weitere Einwohner der Gegend werden in der Gedenkstätte Yad VaShem in Jerusalem zu den „Gerechten unter den Völkern“ gezählt.




ZUM NACHDENKEN:

Wo habe ich in meinem Leben Sturheit und Beharrlichkeit von anderen oder mir selbst als segensreich erlebt?


Wie immer: Schreibt uns gerne etwas dazu! Hier im Blog in den Kommentar, unter #staunenundlernen bei Facebook oder Instragram oder auch einfach per E-Mail:

silke.vandoorn@kirchenkreis-siegen.de

heike.dreisbach@kirchenkreis-siegen.de

 
 
 Bis Morgen, beim nächsten Türchen!
 
 

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